Mit dem Neurologen Dr. Ralf Dittrich haben wir darüber gesprochen, wie eine Diagnose bei Alzheimer und Demenz gestellt wird.
Herr Dittrich, was für Warnzeichen für Alzheimer gibt es?
Alzheimer ist zwar die häufigste Demenzform, aber bei der Demenz handelt es sich um ein Syndrom, bei dem unterschiedliche klinische Aspekte in unterschiedlicher Ausprägung vorliegen.
Das wichtigste Warnzeichen für Alzheimer sind die Störungen des Gedächtnisses. Typisch sind Merkfähigkeitsstörungen, die neue Gedächtnisinhalte betreffen. Das Altgedächtnis ist weniger bzw. kaum betroffen. Das bedeutet, dass Ereignisse aus der Vergangenheit noch gut wiedergegeben werden können, aber neue Dinge immer schlechter aufgenommen werden können. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von Symptomen, wie Verhaltensänderung, Störung der Stimmung, Änderung der Sinneswahrnehmung, die aber starke Überlappungen zu anderen Erkrankungen haben und nicht Demenz-spezifisch sind.
Wie diagnostizieren Sie Alzheimer bzw. Demenz?
Am wichtigsten ist die klinische Untersuchung. Die Kombination aus Gedächtnisstörungen und ein Defizit aus folgenden Kategorien: Aphasie oder Apraxie oder Agnosie oder Visuokonstruktive Defizite + Alltagsrelevante Defizite = Demenz. Dabei gilt, dass das Bewusstsein nicht getrübt sein darf, die Dauer muss länger als 6 Monate betragen und es darf keine konkurrierende Erkrankung bzw. Ursache vorliegen.
Wie laufen entsprechende Untersuchungen ab?
Neben der klinischen Untersuchung gibt es noch Zusatzuntersuchungen, wobei die höchste Wertigkeit das MRT vom Kopf (Atrophie hippokampal oder entorhinaler Kortex) und die Liquoruntersuchung (Nachweis von Demenzmarkern) haben. Funktionelle (FDG-Glukose-PET mit reduziertem Glukosemetabolismus temporolateral) und genetische Untersuchungen (Mutationen im APP-Gen, PSEN-Gen 1 und 2) spielen eine untergeordnete Rolle.
Wie fassen die meisten Patienten die Diagnose auf? Wollen sie es zum Beispiel nicht wahrhaben?
Je nachdem, in welchem Stadium die Erkrankung ist, sind die Reaktionen unterschiedlich und hängen auch von der Persönlichkeit des Patienten ab. In vielen Fällen werden aber die Symptome heruntergespielt, häufig auch lange von der Partnerin bzw. vom Partner kompensiert und nicht so lebenslimitierend wahrgenommen wie Krebsdiagnosen.
Wie übermitteln Sie die Diagnose?
Da es sich um eine sehr ernste Diagnose handelt, aber es sicher keinen absolut richtigen Weg der Diagnoseübermittlung gibt, halte ich das „SPIKES-Modell“ von Robert Buckman und Walter Baile als gute Grundlage für die Gesprächsführung. Es ist sehr sehr hilfreich, wenn der Patient dies wünscht, die Partnerin bzw. den Partner mit einzubeziehen.
Glauben Sie, dass es vielen Menschen mit einer früheren Diagnose besser gehen würde? Dann müsste man länger mit der Gewissheit leben, könnte aber gezielter behandeln und förder
Da im Moment die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt sind und tendenziell besser greifen, je früher begonnen wird, ist eine frühe Diagnose hilfreich. Die Patienten haben natürlich auch ein Recht auf Nicht-Wissen, meiner Erfahrung nach sind dies aber die wenigsten.
Wie wird sich das Feld der Alzheimer-Diagnosen entwickeln?
Für die Zukunft sehe ich zwei Entwicklungen. Die diagnostischen Möglichkeiten einer frühen Diagnose werden deutlich steigen, Stichwort Bluttest, Amyloid-β ratio. Mittel- und langfristig werden auch die medikamentös-therapeutischen Interventionen erfolgreicher, auch wenn die aktuellen Antikörper-Studien nicht erfolgreich waren.
Aktuell sind die nicht-medikamentösen und präventiven Strategien erfolgreicher. Prävention geht durch vier Bausteine: Nicht rauchen, gesund essen, sich viel bewegen bzw. Sport machen und wenig bis gar kein Alkohol trinken.
Was für Möglichkeiten für die Zeit nach der Diagnose haben Patienten und Angehörige? Wo bekommen sie Hilfe und wo besteht Potenzial?
Es gibt noch nicht genügend Anlaufstellen für Patienten mit Demenz und deren Angehörige. Es findet aber ein langsamer Ausbau statt. Die noch starke Trennung zwischen ambulantem und stationärem Sektor erschwert das. Neben demenzsensiblen Strukturen im Krankenhaus sollten auch die Beratungsangebote für Angehörige und die Stärkung sowie Unterstützung der familialen Pflege verstärkt werden. Im Moment beraten die Krankenkassen, Selbsthilfegruppen, Sozialämter, Wohlfahrtsverbände, die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V., Gedächtnissprechstunden in größeren Krankenhäusern und der „Wegweiser Demenz“ des Bundesfamilienministeriums.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
PD Dr. med. Ralf Dittrich, Chefarzt am Marienhospital Osnabrück, Facharzt für Neurologie: „Ich bin seit 19 Jahren Neurologe, davon 17 Jahre am Universitätsklinikum Münster und dort besonders im Bereich der Akutneurologie, Schlaganfallmedizin und neurologische Intensivmedizin tätig gewesen. Seit 2 Jahren bin ich in Osnabrück zunächst an der Paracelsus-Klinik und nun im Marienhospital, wo neben der Schlaganfallmedizin die neurologische Versorgung älterer und dementer Patienten zu meinem Fokus gehört.“