Interview mit Ralf Drüge, Geschäftsführer, cibX GmbH
Besonders in Pandemiesituationen stehen Notaufnahmen von Krankenhäusern unter Druck. Prozesse kommen durcheinander, Systeme brechen zusammen. Ein Überblick über Patienten, Medizingeräte und Räume fehlt. Hier setzt die IoT-Lösung von cibX an. Echtzeitlokalisierung und Visualisierung ermöglichen eine sichere und aktuelle Prozessoptimierung.
Im Interview mit MEDICA.de spricht Ralf Drüge über die Idee zum central information board und „Rote Zonen“. Außerdem erklärt er, warum Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen die IoT-Lösung auch im Umgang mit hochinfektiösen Pathogenen wie dem Coronavirus und Pandemiesituationen einsetzen können.
Herr Drüge, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine IoT-Lösung wie das central information board zu entwickeln?
Ralf Drüge: Unsere Software wurde zu Anfang hauptsächlich für Notaufnahmen in Krankenhäusern entwickelt. Dort ist das Risiko groß, dass Prozesse durcheinanderlaufen, besonders dann, wenn die Notaufnahme unter Druck gerät. Keiner hat so richtig den Überblick darüber, wo und zu welchem Zeitpunkt sich die Patienten befinden, wer dringend behandelt werden muss, wer warten kann, oder wer schon wie lange wartet. Es fällt schwer, große Patientenströme letztendlich zu kanalisieren. Deshalb haben wir es uns auf die Fahnen geschrieben, hierfür eine Lösung zu finden, die in Echtzeit arbeitet. Letztendlich sollen der Leiter der Notaufnahme und das Pflegepersonal immer und zu jeder Zeit den kompletten Überblick über die Situation in der Notaufnahme und die Patienten haben, ohne dass ein permanentes Nachfragen und Telefonieren mit Kollegen erforderlich ist.
Wie genau funktioniert das?
Drüge: In Zusammenarbeit mit der Universität Münster haben wir eine neue Hardware entwickelt. Zurzeit ist sie in Erprobungsphase.
Sogenannte Gateways halten Kontakt zu akkugestützten Koordinatoren, die in der Fläche installiert werden. Die Koordinatoren erfassen Patientenarmbänder und Asset Tags, sobald diese in Reichweite kommen. Aus den empfangenen Daten werden dann über spezielle Algorithmen Positionsdaten ermittelt. Die Hardware basiert auf dem Funkprotokoll IEEE 802.15.4.
Wenn ein Patient außerhalb des Krankenzimmers in Schwierigkeiten gerät, kann er einen Alarm per Knopf auf seinem Armband auslösen, worüber das Personal informiert wird. Auch medizinische Geräte sind mit Tags ausgestattet. Diese können, ebenso wie freie Räume, Betten und Untersuchungsgeräte in Echtzeit lokalisiert werden. Ebenso können lange Wartezeiten von Patienten erfasst werden. Zudem ist die Software eine große Hilfe bei der Wartung von Geräten, da für jedes Gerät eine eigene Karteikarte mit allen relevanten Informationen, unter anderem Seriennummer, Datum der letzten Wartung und Standort des Geräts eingetragen ist. Das gleiche gilt für Bettenmanagement und Hygieneaufbereitung.
Im central information board lassen sich einzelne Räume und die Position von Geräten und Patienten darstellen (rechts). Patienten können über einen Knopf an ihrem Patientenarmband Alarm auslösen, wenn sie Hilfe benötigen (links).
Das central information board unterteilt Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen in „Rote Zonen“. Was hat es damit auf sich?
Drüge: Die Software bildet auf einer Übersicht alle Räume im Krankenhaus ab. Bestimmte Räume können per Mausklick in „Rote Zonen“ kategorisiert werden, das heißt, in dem Augenblick, in dem eine unbefugte Person den Raum betritt, wird ein Alarm ausgelöst. Der Prozess läuft automatisch ab. Das Personal kann sofort sehen, wann und wo eine Person einen verbotenen Bereich betritt oder verlässt. Zudem kann das Medizinpersonal erkennen, ob sich die Person, zum Beispiel eine an Demenz erkrankte Person, noch im Gebäude befindet oder nicht.
Warum sollte das central information board von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen auch in einer Pandemiesituation, wie sie derzeit durch das Coronavirus verursacht wird, eingesetzt werden?
Drüge: Software in Kombination mit Hardware ist letztendlich nur eine Hilfe, Prozesse oder Abläufe im Krankenhaus zu optimieren. In vielen Kliniken wird versucht, die Infektionskette manuell über Laufzettel zu erfassen, wodurch es schnell zu Fehlern kommt. Ein weiteres Problem ist, dass Patienten und Besucher Schlange stehen und engen Kontakt zueinander haben. Ein System, das durch Armbänder erfasst, wo und mit wem der Patient in Kontakt war, ermöglicht eine lückenlose Dokumentation der Aufenthaltsorte des Patienten und deren Besucher in der Klinik. Weiterhin können wir ganze Bereiche als Quarantänezonen deklarieren. Alle Geräte, die sich in diesem Bereich befinden, werden automatisch als hochgradig konterminiert eingestuft, das bedeutet, alle mobilen Geräte, wie zum Beispiel Infusionspumpen, können nicht einfach aus dem Raum entfernt werden, ohne eine Alarmierung auszulösen. Auch, wenn ein Patient eine Quarantäne-Zone verlässt, wird ein Alarm ausgelöst.
Welche Unterschiede bestehen zwischen Krankenhausinformationssystemen (KIS) und dem central information board?
Drüge: KIS-Systeme verwalten die Patientenaufnahme, Diagnostik und die Abrechnung. Das central information board geht einen Schritt weiter hin zur Patientenortung, Erfassung des aktuellen Standorts, von Wartezeiten, Raumbelegung, Asset Management. Unsere Software ist demzufolge eine Veredelung eines KIS-Systems, die Prozesse angenehmer und individueller gestaltet. Zudem erhöht sie das Qualitätsmanagement des Krankenhauses, da Patienten schneller behandelt werden und mehr automatisiert dokumentiert wird.
Welche weiteren Entwicklungen plant cibX in naher Zukunft?
Drüge: Wir möchten gerne unsere Software im Sinne der Vorhersehbarkeit intelligent machen. Hierzu müssten alle Systeme über eine einzige Plattform erreichbar und somit aktiv vereint sein. So würde das Medizinpersonal zu jeder Zeit wissen, welche Ärzte vor Ort, wie viele Patienten im Haus, wie viele Räume, Betten und wie viele Pflegekräfte verfügbar sind – eine Darstellung der aktuellen Kapazität. Mediziner könnten auch vorab einschätzen, wann die Kapazitäten ausgeschöpft sind. Patienten würden automatisch genau über die aktuelle Wartezeit informiert werden. Das ist eine Vision − wenn wir eine einfache grafische Übersicht auf Knopfdruck hätten, wäre das toll.
Wir wollen uns auch mit Hygiene beschäftigen. Für die Aufbereitung von zum Beispiel OP-Bestecken und OP-Laken gelten hohe Standards. Wenn wir aber nicht genau wissen, ob Geräte wie Autoklaven einwandfrei arbeiten, können wir auch nicht sagen, ob die Reinigungsprozesse korrekt abgelaufen sind. Eine Sensorik kann hier Daten, wie Temperatur und Dauer der Aufbereitung, ermitteln.
All diese Daten sollen Krankenhäuser in unserer Infrastruktur erfassen können, damit sie sehen, welche technischen Mittel sie benötigen und wie und wo sie Abläufe optimieren können.
Das Interview wurde geführt von Diana Heiduk.
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